parrotta

 

Antigrav
Figuren des Schwebens und Schwindels

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»Antigrav - Figuren des Schwebens und des Schwindels«
Anna und Bernhard Blume, Lilibeth Cuenca Rasmussen, Judith Fegerl, Claude Horstmann, Hannu Karjalainen, Edgar Leciejewski, Ruth May, Pieter Laurens Mol, Tomás Saraceno, Min Jeong Seo und Susanne M. Winterling
In dieser Ausstellung steht die Konzeptualisierung von Schwerelosigkeit als ein Motiv im Fokus, das in seinen utopischen Zügen prädestiniert ist die Kunst an eine Grenze zu führen; eine Grenze, die sie einerseits mit der Wissenschaft oder der Alchemie und andererseits mit der Poesie, einer Poesie der Leere, teilt. Die Dinge erlangen in der Schwerelosigkeit ein stilles und mitunter einsames Eigenleben. Die Künstler der Ausstellung thematisieren dieses Eigenleben auf eine hintergründige, ironische und selbstreflexive Weise. Dabei geht es auch um ein partielles und temporäres Aufheben von Körperlichkeit - sei es die des Kunstwerks selbst oder des Mediums, oder die des Körpers, der hierin verhandelt wird. Der Schwindel, der dem Fall vorausgeht oder auf den Sturz folgt, soll in der Ausstellung ebenso mitbedacht werden wie der Schwindel, der den meisten Darstellungen der Schwerelosigkeit zugrunde liegt. Kuratiert von Birgit Kulmer.
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»Antigrav – figures of levitation and vertigo« (Engl.)
Anna and Benhard Blume, Lilibeth Cuenca Rasmussen, Judith Fegerl, Claude Horstmann, Hannu Karjalainen, Edgar Leciejewski, Ruth May, Pieter Laurens Mol, Min Jeong Seo and Susanne M. Winterling
The focal point in this exhibition is the conceptualisation of the absence of gravity as a theme which is in its utopian lineaments predestined to direct art to its limits; a limit that art shares on the one hand with science or alchemy and on the other hand with poetry- a poetry of emptiness. The objects obtain in this absence of gravity a quiet and sometimes solitary independent existence. The exhibition’s artists broach the issue of this independent existence in a profound , ironic and self-reflecting way. In doing so the emphasis also lies on a fractional and temporary abolishment of physicalness- be it that of the artwork per se or that of the medium or that of the object, which is discussed therein. The vertigo that precedes the fall or follows the downfall will be considered in the exhibition as well as the vertigo that underlies most of the absence of gravity’s demonstrations. Curated by Birgit Kulmer.

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Ausstellungsdokumentation PDF

 

Einführung Antigrav Stuttgart

Galerie Parrotta, 16.4.2010

© Hanne Loreck

Es ist mir auch dieses Jahr wieder passiert: Es schneite und gab keine Sicht. Ich bringe die Schier zum Stehen – und falle um, aus dem Stand. Ein merkwürdiges Phänomen, denn den Schwindel, der zum Fall führte, bemerke ich, wie immer, erst mit minimaler Verzögerung, nämlich bereits meine Schier und meine Glieder auseinanderdividierend. Schuld war einmal mehr der diffuse, weißlich-lichte Raum, in dem es keine optischen Fixpunkte gibt, also keine Orientierung an vermeintlich stabilen Linien wie dem Horizont oder einem vertikalen Baumstamm, die das Wirken der Schwerkraft  aufhält.

Ein Beispiel aus der leiblich-räumlichen Praxis, das ich jedoch jedes Mal wieder als gleichermaßen kränkende wie ästhetische Erfahrung wahrnehme. Kränkend, weil die Körperbeherrschung, das heißt der kulturell dominante aufrechte Gang zu nichte gemacht wird, ästhetisch, weil plötzlich ein Raum physisch wirksam wurde, den Künstler der Moderne wie Laszlo Moholy-Nagy oder James Turrell mit den Mitteln der Kunst, mithin künstlich erzeugten und noch erzeugen. Im Unterschied zu meiner unmittelbaren Erfahrung lässt sich die Konfrontation mit einer Kunst, die mit Schwerelosigkeit spielt, jedoch steuern. Denn die optischen und technischen Tricks, mit denen Kunst operiert, geben ihre illusionistische Absicht, ihre suggestive Macht zu erkennen – zumindest auf den zweiten Blick. Nicht umsonst ist Schwindel nicht nur eine unangenehme körperliche Befindlichkeit, nämlich schwindendes Bewusstsein. Der physische Taumel liest sich synonym mit moralischer Schwäche: Schwindel ist immer auch Fälschung, Betrug.

Schon haben wir diejenigen Felder impliziert, auf denen sich Schwerkraft und Schwerelosigkeit, Schweben und Schwindel die Bälle zuspielen. Es sind dies der Körper, Technik, Wissenschaft, Ethik, Ästhetik. In der Kunst fließen, wie anhand der in der Ausstellung Antigrav gezeigten Arbeiten unschwer nachzuvollziehen,  alle zusammen. Doch seien drei Zugänge zum Thema hervorgehoben: die Fotografie, das künstlerisch-wissenschaftliche Experiment und die Wirkungsästhetik. Was das Fotografie betrifft, so  erfüllt das Medium ganz wunderbar die Paradoxie von Wirklichkeitskonstruktion und Authentifizierung alles Dargestellten als „wirklich“. Aller notwendiger Skepsis gegenüber der Wahrheit der Fotografie zum Trotz signalisiert sie: das, was wir auf einem Foto sehen, ist so, oder war so. Mit diesem Moment der Wirklichkeitsgarantie lässt sich künstlerisch ebenso spielen wie mit den digitalen Bildbearbeitungs- und früher den analogen Retuschiermöglichkeiten. Doch wird Schweben erst dadurch vom Eindruck her realistisch, dass die Betrachter und Betrachterinnen jenseits aller Manipulationen zunächst automatisch schwerkraftorientiert wahrnehmen, ihre Körperorientierung gleichsam als Maßstab nehmen für ihre Wahrnehmung. Fliegt freilich der technische Schwindel, die Simulation auf, das heißt wird sie auf den zweiten Blick durchschaut, so setzt das Taumeln auf dem symbolischen Feld ein: Was ist Realität? Was genießen wir am Verstoß gegen die absolute Wirkung der Erdanziehung? Welche Ideen kommen ins Schwanken?

Schwerelosigkeit bringt als poetisches Konzept, als Metapher, die immateriellen Qualitäten in den Blick. Denn materiell wird sie niemals erreicht, sondern die Erdanziehung wird durch Gegenkräfte suspendiert. So leicht und mühelos beispielsweise Schweben ausschauen mag, so viel Anstrengung mag der Zustand maximaler Leichtigkeit kosten. Schwerkraft charakterisiert also immer auch Räume, ihre materielle, ihre mentale, ihre optische Dichte – oder, auf der anderen Seite – ihre Virtualität.

Schwerkraft ist bei weitem nicht nur eine physikalische Größe, sie ist in mindestens gleichem Maß auch eine Wahrnehmungsdimension. Und beide, das Gesetz der Materie wie die menschliche Wahrnehmung, haben eine Mentalitäts- und Kulturgeschichte, in die ihre scheinbar objektive Physikalität eingelassen ist. Schließlich haben die verschiedenen Kränkungen der Zivilisation immer Schwindel verursacht, indem bis dahin gültige Sichtweisen und Werte ins Wanken gerieten, um schließlich gestürzt zu werden: Dem Projekt der Aufklärung setzte Sigmund Freuds Unbewusstes zu, der Dimension der Zeit als zuverlässiger historischer Struktureinheit Albert Einsteins Relativitätstheorie, der Zeugung als Resultat des heterosexuellen Liebesakts die Reproduktionstechnologie.

Hier soll es also nicht um das so genannte Naturgesetz der Gravitationskräfte gehen, wie Isaac Newton es 1686 veröffentlichte. Mit anderen Worten, nicht die Universalität der Schwerkraft der Materie steht zur Debatte, sondern Techniken und Ideologien, die immer wieder das Schwere leicht erscheinen lassen konnten und können – und sei es für den Moment oder für das Imaginäre, für die Einbildung, oder die metaphysisch-religiöse Überwindung alles Irdischen. Dessen Schicksal ist ja bekanntermaßen die Hinfälligkeit, schließlich der Zerfall – ein Schicksal, gegen das wenn schon nicht der Mensch im Alltag, so doch der Wissenschaftler und der Künstler anzudenken und zu arbeiten versuchen. Hier kommt die Forschung ins Spiel, die vermehrt auch mit künstlerischen Mitteln betrieben wird. Dabei können Experimente, aus der Wissenschaft abgezweigt, nicht nur eine eigene Schönheit demonstrieren, sondern das ganze Potential des Ästhetischen entwickeln. Denn dann geht es nicht um eine bloße Sichtbarkeit für Prozesse in Natur und Technik in einem andern Feld, dem der Kunst, sondern gegen die Zweckorientierung von technik- und naturwissenschaftlicher Forschung können künstlerische Arbeiten immer auch den gesellschaftlichen Kontext, die ideologische Grundierung mitzeigen.

Der Kampf gegen die Auswirkungen der Schwerkraft begann mit der Haltung: Sie wurde als zivilisatorische Technik eingeführt, unterstützt von Kleidung, ja von Moden wie dem Korsett. Ihre Aufgabe war es, die allzeit drohende gesellschaftliche Erniedrigung im Sich-gehen-Lassen und im kleinkindlichen oder gar tierischen Am-Bodenherumkriechen wettzumachen. Das ist weniger ästhetisch als vielmehr mentalitätshistorisch und ideologisch betrachtet. Der bürgerliche Aufruf, in allen Lebenslagen Haltung zu bewahren, ist also nichts anderes als ein gesellschaftlich gewendeter Aufruf, der Schwerkraft im Alltag zu trotzen.

Der Mensch ist ein Landtier mit wenigen Richtungen des Körpergefühls: vorne, hinten, rechts, links, oben, unten. Diese Ortungen dienen als körperliche Ausrichtung und als sprachliche Symbolisierung. Historisch ist der Aufbruch in andere Dimensionen interessant. Die Überwindung von Höhe gilt bis heute als Erkundungs- und Sportpraxis. Schließlich konnte im 19. Jahrhundert das Aufsteigertum als Bild gesellschaftlichen Höhengewinns reüssieren. Bergsteigen, dieses buchstäbliche Angehen gegen die Schwerkraft, die uns im Tal hält, ist dann auch nur vermeintlich ein besonderes Naturerlebnis, wie es gerne in eben dem 19. Jahrhundert empfunden und literarisiert wurde. Vielmehr ist Gipfelstürmerei nichts als die Kehrseite jener „kapitalistischen Mobilisierung“ , die kaum später, seit dem 1. Weltkrieg, am sinnfälligsten mit militärischem Eroberungsgerät operiert. So zumindest argumentiert der Kulturphilosoph Hartmut Böhme, wenn er Technik und Natur zusammen liest. Bald darauf wird sich die Lust am Höhengewinn in Liften und Gondeln als mühelose Aufstiegsmöglichkeit für jedermann verfestigen. Dennoch bleibt Gipfelstürmerei eine Metapher für Erfolg und Sieg gegenüber den Naturkräften und –mächten. Übrigens waren und sind die effektivsten Herrschaftsformen solche von oben — dirigieren und steuern sind Machtausübungen von erhabenem Standpunkt.

Daher kommt, dass alles Abgehobene, kulturpsychologisch gesehen, einer Erdung bedarf. „Komm mal runter“, weiß der Volksmund für jemanden, der vermeintlich den Kontakt zur Realität, zum Boden wie zum so genannten Volk, verloren hat.

Andere Techniken, die Erdenschwere, das, was allem Irdischen anhaftet, aufzuheben, sind Fantasien und Fantasmen. Und damit sind wir bei der Ideengeschichte, dem Antrieb dafür, die Schwerkraft und die Trägheit der Materie als überwindbar zu imaginieren,  von Schwerelosigkeit zunächst zu träumen, sie in Gedanken und Worten als Flucht aus dem Gewöhnlichen zu inszenieren, dann sie technologisch zu realisieren, um schließlich die Schwerelosigkeit im Sinne sich gegenseitig aufhebender Kräfte vornehmlich in der Weltraumfahrt aufwändigst zu kompensieren. Also schwankte die Einschätzung der Schwerkraft zwischen den sozio-physischen Techniken und utopischen Ideen mit ihr und gegen sie. Schließlich erzeugt schwereloses Schweben vielleicht kurzfristig einen angenehmen psychophysischen Zustand. Auf Dauer passiert jedoch ohne Widerstand gar nichts mehr: Das aktuellste Fitnessgerät, wie beispielsweise auch die Teflonpfanne und viele andere Dinge alltäglicher Verwendung, aus der Weltraumforschung kommend, verheißt: Sich 10 Minuten auf einer rüttelnden Scheibe zu halten, dort die Balance zu finden, sei so wirksam wie 10 km Joggen. Entwickelt wurde sie nicht für Menschen, die ihr Trainingspensum nicht draußen und möglichst kompakt absolvieren wollen, sondern für Astronauten, deren Muskelkraft sich ohne den Schwerkraftwiderstand schnell zurückbildet. Nichtreligiös gesehen, ist also das Irdische samt seinen Erschwernissen für den leiblichen Menschen produktiv.

Selbst in die Geschlechterverhältnisse ist unser Thema eingelassen: Alle Bemühungen der Aufhebung der Schwerkraft haben überwiegend Männer interessiert: durch Kultur und Technik die Natur zu überwinden, nicht zuletzt jene Natur, die die Frau verkörpert – Gravidität ist der Ausdruck für Schwangerschaft als zunehmendes Gewicht, als Materie. Mechaniken, und seien sie träumerisch-fiktiver Natur, lassen es möglich erscheinen, der bloßen Reproduktion durch erfinderische Produktion zu entfliehen. Als Heinrich von Kleist mit seiner Idealisierung des Schwebens und der Schwerelosigkeit den Grundstein für jene romantische Puppenmode legte, in der die Leblosigkeit und die Lieblosigkeit des mechanischen Wesens in einem höchst prekären Verhältnis zu seiner tänzerischen Anmut, stehen, hatte der Automat, solange er weiblich war, auch den Vorteil, außerhalb der reproduktiven Weiblichkeit zu agieren, für immer unbeschwerte Leichtigkeit zu verkörpern. Wie wir freilich von ETA Hoffmanns Erzählung Der Sandmann von 1815 wissen, geht die Faszination für die bezaubernde Puppe als Verkennung tödlich aus.

Stellen wir uns diese Puppen vor, so tragen sie zwar menschliche Züge. Doch dann machen sie eckige Bewegungen, tragen kegelförmige Reifröcke, drehen sich wie ein aufgezogener Kreisel, oder klappern seriell mit den Wimpern. In diesem Konzept birgt die Erlösung von der Schwere geometrische Komponenten, die das Organische konterkarieren.

Hier beginnt eine Geschichte, die sich in der Abstraktion in der Kunst etwa 100 Jahre später, in den Jahrzehnten nach 1900 fortsetzt. Mit der Verwendung abstrakter Formen als gestalterisch-ästhetischer Elemente verband sich, wie die Kunstgeschichte zeigt, der Versuch, der materiellen Last der Figuration Transzendenz entgegen zu setzen. Weniges der bürgerlichen Moderne ist künstlerisch-formalästhetisch so bekannt geworden wie die Idee des Geistigen in der Kunst (1911/12). Anti-Gegenständlichkeit sollte eine neue Epoche begründen. Kasimir Malewitsch beispielsweise setzte auf futuristische Weltraumwohneinheiten, bewohnbare Raumstationen für zukünftige Menschen, genannt Planiten (1923-24). Der Entwurfscharakter selbst machte aus den Planiten Projektionen in einen zukünftigen Raum. Hier verknüpfte sich mit der reduzierten Schwerkraft eine technosoziale Utopie, in der die Befreiung von den wesentlich körperlich-irdischen Regeln der menschlichen Gesellschaft Dimensionen einer neuen Gemeinschaft, eines sozialistischen Kollektivs aktivieren würde. Doch zunächst hatte das konstruktivistische Vorhaben eine formale Seite, in der die zweidimensionalen geometrischen Flächen zu Raumgebilden, zu schwebenden Häusern zusammengesetzt wurden und damit die Gegenstandslosigkeit eine Funktion andeutete. Doch solche Utopien waren zur Zeit ihrer Entstehung in der jungen Sowjetunion in ihrer Abstraktion und Modellhaftigkeit wenig propagandatauglich und wurden bald politisch entsprechend durch die figurativ-indoktrinierenden Programme des sozialistischen Realismus abgelöst. Wenn Künstler und Künstlerinnen heute also das abstrakt-geometrische Material wieder aufgreifen und es, oftmals mit Hinweis auf die geometrisch-abstrakten Avantgardisten keineswegs nur des Konstruktivismus, sondern vor allem auch des Bauhaus  ver-wenden, dem historischen Stoff eine Wendung geben, so befragen sie in erster Linie die Politiken, die mit und durch Formen gemacht wurden und werden. 

Gravitation, eine der vier Grundkräfte der Physik, ist freilich nicht nur für die Phänomene des Lebens auf der Erde, sondern auch für die Phänomene des Universums verantwortlich. Sie bestimmt alles Kosmologische und Astronomische. Selbst die viel zitierten Schwarzen Löcher haben mit Gravitation zu tun. Als Kultur- und Kunstwissenschafterin bin ich leider nicht in der Lage, derart komplexe physikalische Zusammenhänge immanent darzulegen. Deshalb beziehe ich mich auf die symbolische Ordnung im Verhältnis von Beharren und Balance, Magie bzw. Levitation, Überwindung und Macht. Die Bezüge, die diese Metaphern untereinander herstellen, reflektieren die Idee und Wirkung der Schwerkraft. Ihre Bilder divergieren historisch. Niemals sind sie absolut, sondern immer in die Vorstellungen und Probleme einer Zeit eingelassen; in diesem Sinne sind sie jeweils zeitgemäß. Das Verhältnis der Menschen zum Komplex von Schweben und Schwindel war nie ein stabiles. Es formt sich nach den wissenschaftlichen und vor allem den kulturellen Fragen einer Epoche. Noch in dem aktuellen Ausstellungsprojekt Antigrav geht es um Vorstellungswelten, um Möglichkeiten und um symbolische Übersetzungen einer an sich unsichtbaren Kraft, die an ihrer Wirkung gemessen wird.

So war beispielsweise die Äthertheorie nicht nur eine gleichsam theologische Idee gegen den horror vacui, den leeren Raum, den die so genannte Natur verabscheuen würde, sondern das Fluidum transportierte über mehr als zweihundert Jahre alle physikalischen Wirkungen. Allein die Spannung zwischen der Unerträglichkeit der Leere und einem wie auch immer gearteten Materieschleier, nicht fest, nicht dicht, aber in der Lage weiterzugeben, enthält inhaltlich wie formal jede Menge ästhetischen Stoffs. Ist beispielsweise Schweben reine Dauer, Ausschaltung der Zeichen der Zeit? Paradies? Oder ist es eine Art Zeitlupenaufnahme? Der Schnitt in die Bewegung, der jene anhält? Oder der sogar in den Sturz selber, die Ruhe im Sturm sozusagen?

Klar ist, dass der Künstler als gleichsam aufgeklärter Schöpfer den Moment des Schwebens medial herbeiführen kann. Er oder sie wählt ein Realisierungsformat – und oftmals eine symbolische Übersetzung. Flügel und Gefieder aller Art eignen sich besonders für eine Ikonographie der Schwerelosigkeit. Sie stehen für das, was der Mensch ohne Hilfsmittel nicht kann, Gefiederte uns aber mühelos vormachen: von der Erde abzuheben und sich von den Lüften tragen zu lassen. Dieser Wunsch ist die Basis verschiedener Mythen, an die sich außer Wunscherfüllung ganz schnell Eroberungsfantasien und Grenzüberschreitungen knüpften: des Alls, des Kosmos, aber auch höhentauglicher Techniken und Materialien. Während Forschungsresultate zur Schwerkraftüberwindung längst effektiv in den Alltag eingegangen sind, bieten aktuelle Experimente neben dem technologischen Innovationsimperativ buchstäblich Stoff für solche Künstler, die Ästhetik nicht grundsätzlich von Forschung getrennt sehen. © Hanne Loreck

Bitte keine Veränderungen ohne Rücksprache mit der Autorin. Danke!

Hartmut Böhme, Kontroverspredigt der Berge. In: Die Schwerkraft der Berge xxx, 231-233, 231.

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Parrotta Contemporary Art Stuttgart, Augustenstr. 87-89
Öffnungszeiten: Dienstag – Samstag, 14.00 – 19.00 Uhr
Hours: Tuesday – Saturday, 2 p.m. – 7 p.m.

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