parrotta

 

kyllä hmm ei hmm

Pasi Autio, Hannu Karjalainen, Susanna Majur
Stuttgart: 09. Februar – 15. März 2008





>kyllä hmm ei hmm< (ja hmm nein hmm)

 

in watermarks and lonely places

a private measurement of time

in made-up names and blacked-out faces

i will trace my blood line

Nick Talbot, “Saints” [The Western Lands, Warp Records 2007]

Mit >kyllä hmm ei hmm< (ja hmm nein hmm) präsentiert die Galerie Parrotta in Stuttgart und Berlin drei Positionen aus Finnland, die sich in Film und Fotografie mit der Seinsweise des “Dazwischen“ auseinandersetzen. Wann und wie wird aus Realität Wirklichkeit und wann beginnt die Konstruktion von Fiktionen? Wann und wie wird aus einem Ort ein Schauplatz, aus einer Person eine Persönlichkeit, aus einer Szenerie ein Ereignis? Wann und wie wird aus Unbewusstem Bewusstes, aus Absenz Präsenz und aus einem Ja ein Nein, einem Nein ein Ja? Zeichnen sich die Grenzen solcher dichotomischen Zustandsformen wirklich eindeutig ab oder sind sie fließend und die Gegensätzlichkeit lediglich eine entworfene? In atmosphärische (Susanna Majuri), humorvolle (Pasi Autio) und poetische (Hannu Karjalainen) Richtung deuten die Arbeiten der drei Künstler aus Helsinki einen Weg zur Beantwortung dieser Fragen an.

 

in watermarks and lonely places...:  SUSANNA MAJURI

Eine Frau in leuchtend rotem Kleid schreitet scheinbar zielgerichtet ins dunkle, unbewegte Meer auf einen Leuchtturm zu, von dem sie eine ölig graue, immer wieder von Algen durchbrochene Wasseroberfläche trennt, die am Horizont in eine teilweise mit Schnee bedeckte Bergkette und schließlich einen hellgrauen Himmel übergeht, vor dem sich die rote Spitze des Leuchtturmes wie ein Versprechen ausnimmt.

 

Während Susanna Majuris Fotografien auf einen größeren Erzählzusammenhang hindeuten, scheinen sich die Anhaltspunkte im Bild doch nicht recht fügen zu wollen und lassen Zweifel an der Erfüllung ihres Versprechens aufkommen.

 

Eine andere Frau in türkisfarbenem Kleid klettert eine grünbewachsene Klippe einer Steilküste herauf, um sich einem türkisfarbenen Haus zu nähern, das mit seinen spiegelnden Fensterscheiben in der winterlich kargen Küstenlandschaft verlassen und trotz seiner leuchtenden Farben unnahbar erscheint. Auch wenn sich die farblich aufeinander bezogenen Protagonisten, Frau und Haus, im Bild teilweise überschneiden, bleibt eine tatsächliche Ankunft doch ungewiss.

 

Die landschaftlichen Schauplätze mögen sich kaum von denen unterscheiden, welche wir selbst bisweilen durchwandern, doch durch das nebelverschleierte Licht, die eigenartig deplaziert wirkenden Menschen und architektonischen Objekte in perfekter Farb- und Formkompositionen erscheinen uns als symbolisch aufgeladene, fiktive Orte, >fictive reality< in den Worten Susanna Majuris, die vorschlägt: „Touch your enviroment and it will show itself as fantastic.“ Und diese Verzauberung durch die Berührung der Landschaft mit der Kamera hat etwas mit Entrückung und Ferne zutun, die auch ein noch so vertraute Umgebung plötzlich als fremd und den eigenen Standort als schwankend erscheinen lässt.

 

a private measurement of time...:  PASI AUTIO

Pasi Autios Videoarbeit >kyllä hmm ei hmm (ja hmm nein hmm)<  zeigt in einem Raster angeordnet eine unendlich fortsetzbare Reihe von Portraitaufnahmen desselben zögernd sprechenden Mannes in einem unaufhebbar scheinenden Zustand der Unentschiedenheit. Ja, hmm nein, ähh…ja, hmm…. Mit verstreichender Zeit steigert sich die Vehemenz dieses verbalisierten Zögerns, lässt an eine Sitzung von zwanzig Geschworenen denken, die in ein kakophonisches Geplapper übergeht und schließlich in einem Klagechor endet, ohne dass ein Richtspruch hätte gefunden werden können. Nichts geschieht, keine Entscheidung wird getroffen, keine Handlung resultiert aus diesem Vorgang, es ist ein ewig in der Schwebe gehaltener Zustand des Zögerns, der sich ausdehnt im Fluss der Zeit. Es gibt keinen Anfang, kein Ende, keinen Sprung in eine andere Seinsweise, nur einen nicht enden wollenden Zustand des Dazwischen.

 

Die Aneinanderreihung der einzelnen ständig wieder verworfenen Zustimmungen und Ablehnungen fügt sich auf der Tonebene zu einer Symphonie der Verweigerung und des Trotzes, als widerständische Weigerung, sich entscheiden zu müssen für das Eine oder das Andere; einer Weigerung, der Forderung zu entsprechen, etwas, jemanden und sich selbst festzulegen und damit letztlich in einem Entscheidungsprozess Souveränität zu demonstrieren. Allein auf der Bildebene betrachtet, bliebe >kyllä hmm ei hmm (ja hmm nein hmm)< hingegen eine reine Visualisierung von Lethargie.

 

Im Video »Seis! (Stop!)« rutschen Personen an uns vorbei. Sie sehen uns nicht, und wir erhaschen nur einen kurzen Blick auf ihre Erscheinung. Wo sie herkommen und wo sie hinschlittern verbleibt im Ungewissen. Vollzogen wird eine Bewegungsform, die ein Zwischenfeld von Aktivität und Passivität markiert. Es benötigt einen Anlauf oder Anschub, um zu gleiten, doch dann nur noch ein Balancehalten und Gewährenlassen. Dieser kurze Moment des Treibenlassens und der Freiheit von Entscheidungen weist auf eine Sphäre, in der Selbst- und Weltvergessenheit als Eintrittsgeld zu entrichten sind: Auf den Bereich des Spiels.

 

Verstecken spielen die Kinder in Pasi Autios Fotoserie >Hidden<. Der Blick, dem sie durch möglichst kunstvolles Verbergen entgehen wollen, bannt sie als fotografischer und macht sie in ihrer Unsichtbarkeit sichtbar. Eingedreht in einen Vorhang, eingeklemmt hinter eine Tür, eingegraben in einen Berg aus Decken, Matratzen und Kleidern schaffen die Kinder unbeabsichtigt und kunstvoll Reminiszenzen an Skulpturales. Die Fähigkeit der Kinder vollends im Spiel und ihrer Umwelt aufzugehen wird auf andere Weise auch in der Videoarbeit >Jo Pienstâ Elesstâ Ticoân Mitâ Nân Alkog< verhandelt. Hier sind es jedoch Erwachsene, die frontal vor der Kamera sitzend undurchschaubare Gesten und Mimiken vollführen, wobei nach und nach deutlich wird, dass sie einander wechselseitig kopieren, ohne dass die Spielregel deutlich werden würde, die den einen zum Vorbild des anderen werden lässt.

 

in made-up names and blacked-out faces...:  HANNU KARJALAINEN

Die Protagonisten der Videoarbeiten von Hannu Karjalainen sind einsame, entseelte Bewohner rätselhafter Tableaux vivants. War eine der traditionellen Grundbedingungen des Gelingens eines solchen »lebenden Bildes« jedoch gerade seine Lesbarkeit, mussten sich zu diesem Zwecke Hinweise auf den gemeinten Ort und die Zeit darin befinden –  derlei Hinweise werden uns von Hannu Karjalainen vorenthalten. Seine Bühnenbilder sind ort- und zeitlos, sind Bühnen ohne Bild. Bar jeglicher charakterisierender Attribute bleiben die Figuren Karjalainens anonym – Personen ohne Persönlichkeit.

 

Diese Unterschlagung von Wesensmerkmalen, welche wir benötigen, um aus einem Menschen erst einen bestimmten Menschen werden zu lassen und aus einem bloßen Abbild ein Porträt, weist auf den Kern von Hannu Karjalainens Arbeiten hin: Es ist die Untersuchung der Möglichkeitsbedingungen des Porträts.

 

In dekonstruierender Absicht zeigt Karjalainen, dass identitätskonstruierende Vorgänge, wie das Fotografieren gleichzeitig das Potenzial enthalten, in anderen Hinsichten identitätsdestruierend zu wirken. Karjalainens Protagonisten sind schließlich auch dessen beraubt, was eine der Grundbedingungen des menschlichen Seins darstellt: der Möglichkeit des Handelns. Oftmals passiv verharrend sind sie physikalischen Einwirkungen unbekannter Herkunft und dem Vergehen von Zeit ausgeliefert, die sich auf immer unterschiedliche Weise ins Bild einschreibt. In >Man in a car“ wird sie ablesbar an dem sich auf der Autoscheibe spiegelnden Zug der Wolken, der in seiner Gemächlichkeit im Widerspruch zur Zeitraffung gerät, die in den zunächst kaum wahrnehmbaren Bewegungen des hinter der Autoscheibe Porträtierten gerät: hier ein leichtes Neigen des Kopfes, da ein Öffnen und Schließen des Augenlids, ein zucken des Mundwinkels.

 

Auch wenn sich in >Surfers< der Porträtierte aktiv in seiner Umwelt behauptet, zuweilen elegant und spielerisch auf den Wellen tanzt, um schließlich in sie hineinzustürzen und von ihnen verschluckt zu werden, so triumphiert letztlich doch das Meer, oder, was wir dafür halten... Wenn tosend die Wellen in geradezu malerischer Formation über dem Surfer zusammenschlagen, um auch dem Betrachter den festen Boden unter den Füßen zu entziehen, werden wir der Bildmacht gewahr, die Hannu Karjalainen, nicht unähnlich dem Oberflächenspiel der Malerei William Turners, mit seiner konstruierten Videolandschaft erzeugt und dabei alle Koordinaten von Raum, Zeit und Individualität verwischt.

                                                                                                                                           …i will trace my blood line

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