parrotta

 

into the woods tonight



into the woods tonight

Mit der Ausstellung »into the woods tonight« laden wir Sie und Ihre
Freunde herzlich zur Neueröffnung der Galerie Parrotta ein.


Berlin, Brunnenstraße 178–179
Eröffnung: Freitag, 28. September 2007, 19.00 Uhr
Dauer der Ausstellung: bis 16. November 2007
Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag, 14.00 bis 18.00 Uhr


Stuttgart, Augustenstraße 87–89
Eröffnung: Samstag, 6. Oktober 2007, 19.00 Uhr
Grußwort: Dr. Wolfgang Ostberg, Leiter des Kulturamts der Stadt Stuttgart
Dauer der Ausstellung: bis 23. November 2007
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag, 14.00 bis 19.00 Uhr


Benjamin Badock
Frauke Boggasch
Björn Braun
Maria Castelló Solbes
Suna Fener
Thilo Frank
Julia Heuer
Sveinn Fannar Johannsson
Britta Kamptner
Hannu Karjalainen
Claudia Kugler
Edgar L.
Johannes Lotz
Felix Meyer
Florian Neufeldt
Anders H. Nissen
Jochen Plogsties
Sigga Bjorg Sigurdardottir


Kuratiert von Birgit Kulmer, Martina Kupiak und Kerstin Schmidt.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.


Eröffnung in Stuttgart, 6. Oktober 2007

 
 
 
 
 
 
 

 

into the woods tonight

by Birgit Kulmer, Martina Kupiak, Kerstin Schmidt. (c) Parrotta Contemporary Art

Die Ausstellung into the woods tonight versammelt 18 Künstlerinnen und Künstler, deren Arbeiten sich mit ihren unterschiedlichen Konzepten des Themas »Wald« annehmen. Im Umgang mit unzähligen Setzungen und persönlichen Erfahrungen zu diesem topischen Ort bilden die Arbeiten selbst wieder einen Wald aus Zeichen, in dem mannigfaltige Verweise mitunter auf schiefe Ebenen führen, die stets aufs Neue die Sinne der Betrachter zur Adaption herausfordern und zur Reflexion über ein in seiner Entfremdung längst vertraut gewordenes Sujet überleiten.

In verschiedenen medialen Ausprägungen wie Malerei, Skulptur, Video und Fotografie wird der Wald in seiner Funktion als Mythen-, aber auch als Baustoffgenerator unserer Zeit verhandelt. Jede der künstlerischen Arbeiten bringt dabei auf ihre Weise eine andere Bedeutungsschicht des Waldes zum Vorschein. Oftmals taucht der Wald in ihnen als eine Leerstelle auf, als ein Motiv, das sich im Umspielt- und Umkreistwerden möglicherweise am treffendsten beschreiben lässt.

Die grimmsche Definition des Begriffes »Wald« weist schon auf seine ambivalente Besetzung hin – einerseits als Rückzugsort des Ungeheuren, »wo wilde Thiere und böse Geister ihr Wesen treiben«, und andererseits als Ort, an dem der Mensch sich der »Freude an der Freiheit und Ungebundenheit, der Stille und Schönheit« hingeben kann. Während der finstre, von Unwesen bewohnte Wald uns umhüllt und gleichsam zu verschlingen droht, steht der schöne, Erholung versprechende Wald uns sehr eher als Bild gegenüber. In beiden Fällen handelt es sich um Konstruktionen, die einander durchdringen können und die sich längst mit all ihren Wirkmustern in unsere Vorstellungswelt eingeschrieben haben. Der Wald ist nicht nur eine Erscheinung unserer Umwelt, sondern vielmehr etwas, das in unseren Köpfen zu suchen ist, eine Idee, die kulturell geprägt und eingeübt ist.

Mit der raum-zeitlichen Verortung von Wald und Nacht, die im Titel der Ausstellung anklingt, werden gleich zwei Motive ins Spiel gebracht, die bereits in der Romantik zu den bedeutendsten gehörten. Doch wie so viele der romantischen Texte, so sind auch die ausgestellten Arbeiten durchdrungen von Ironie als einem ständigen Bewusstsein und Bewusstmachen des eben nur künstlich Gemachten. Novalis bezeichnete es als das »Geheimlichen«. Er sah darin eine absichtsvolle Mystifizierung, die Erhebung »in Geheimniß Stand«, bei der vertrautes Wissen wieder in den Status des Unvertrauten transformiert wird. Dies verstanden die frühen Romantiker unter »romantisiren«. Oder wie Novalis formulierte: »Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisire ich es – Umgekehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische, Unendliche – dies wird durch die Verknüpfung logarythmisirt – Es bekommt einen geläufigen Ausdruck.«

Neben den Geschichten und Bildern erhalten wir aus dem Wald auch unsere Baustoffe, und so nutzen wir ihn nicht nur als Materiallager für den Stoff, aus dem die Mythen sind, sondern ebenso unsere Frühstücksbrettchen und sämtliche Bühnenkonstruktionen. In der Ausstellung können wir das Holz als einen der ältesten Werkstoffe von Architektur, Skulptur und Bildkunst ins Visier nehmen und auf seine »Waldreste« hin untersuchen.

Teil 1: Waldbühne, Berlin

Beim Betreten des Berliner Projektraums finden sich die Besucher

auf einer schiefen Ebene wieder, die eine ungewohnte Rezeptionshaltung vorgibt und damit ein »woanders« markiert. Der eingezogene zweite Boden aus groben Planken erhebt sich zu einer Anhöhe, die einen kulissenhaften Waldbestand von Frauke Boggasch trägt. Dieser Wald wird zur Bühne, die in ihrer Schräge an Märchenaufführungen eines Schultheaters erinnern mag. Auf die Betrachter als Mitspieler vertrauend, lässt Frauke Boggasch uns – leicht unpassend und überdimensioniert – in der Tannenwaldkulisse umherstreifen, damit wir in der Unterkonstruktion versteckte Kristalle entdecken können.

Märchenbücher und ihr Personal stellen wahrscheinlich für die meisten von uns die ersten Einkerbungen unseres Bedeutungsfeldes »Wald« dar. Felix Meyer nimmt mit alphabook indirekt darauf Bezug. Das Buch enthält in seiner abstrakten Dramatik, die sich von vollkommen schwarzen Seiten über sämtliche Graustufen hin zu rein weißen entwickelt und von diesen Schritt für Schritt wieder in die Dunkelheit zurückkehrt, keine und zugleich alle Geschichten, die es über den Wald zu erzählen gäbe. Doch der Schwarz-Weiß-Charakter der Märchenbücher wird hier in endlos viele Graustufen einer filmischen Blende aufgelöst, in der das Rauschen ein Zwischenreich mit ganz eigener Poetik bildet.

Märchenhaft erscheint auch im ersten Moment die edel anmutende Kordel von Suna Fener, die sich in weichen, ornamentalen Formen an den Raum anschmiegt und kleine erwählte Zonen abgrenzt. Ähnliche Abtrennungen finden wir in herrschaftlichen Museumsräumen, wo besonders wertvolle Objekte bewahrt und die Besucher deshalb auf Distanz gehalten werden. Der abgetrennte leere Raum hinter Suna Feners goldener Kordel bleibt jedoch frei und allein unseren Projektionen vorbehalten. Dabei ist es uns kaum zu verwehren, die organisch geformte Kordel an der Wand zu ertasten und ihre losen Stücke durch die Hände gleiten zu lassen.

Die Idylle dieses Waldes wird durch die Videoarbeit Chainsaw von Sveinn Fannar Johannsson empfindlich gestört. Wir hören das angestrengte Aufheulen und Stottern einer Kettensäge, während wir die Aufnahme einer kleinen Waldlichtung im Blick haben, auf der von Waldarbeiten nichts zu sehen ist. Das Geräusch wird unwillkürlich als Bedrohung der Szenerie empfunden. Und doch lässt Sveinn Fannar Johannsson die Erwartung des finalen Sturzes eines Baumes ins Leere laufen, und er lenkt unsere Aufmerksamkeit immer wieder zurück zum Bildausschnitt und den formalkompositorischen Bedingungen eines Landschaftsbildes.

Teil 2: In den Wald heut Nacht, Stuttgart

Poppig werbend, fliegen Bretter vor den Schaufenstern der Galerie Parrotta die Straße entlang. Es handelt sich dabei um eine Holzimitat-Klebefolie, die, aufgetragen auf die Schaufenster, dreidimensionale Figurationen aus vermeintlichen Brettern bildet. Holz interessiert den Künstler Benjamin Badock in seiner allgegenwärtig trivialen bis absurden Verwendung als provisorische Behausung, Absperrung, Überbrückung oder Verbarrikadierung. Die Imitationen von Holz, mit der für gewöhnlich Aspekte von Urigkeit und Gemütlichkeit in unsere modernen Häuser übertragen werden und die als Ausdruck einer latenten Waldsehnsucht deutbar wären, werden hier zum surrealen Eyecatcher für eine Kunstausstellung umfunktioniert.

Bei Jochen Plogsties verhüllt die Tintenschwärze der Nacht eine Landschaft, die sich uns kaum mehr als solche zu erkennen gibt. Stattdessen ziehen ihre scharlachroten Chanel-Handschuhe unseren Blick auf sich. Sie verdichten und entrücken die Schönheit dieser Nacht, die den Mond als ihr Emblem trägt und deren Gesicht, dahingehaucht in raschem Strich, halb verdeckt wird von tiefschwarz glänzendem Haar. Mit ihrer herausfordernden ästhetischen Präsenz, vermitteln die Bilder von Jochen Plogsties in ihrer vielschichtigen Stofflichkeit und brüchigen Oberfläche die eigene Selbstwerdung als prekären Akt

Mit einer Verunsicherung des Betrachterstandpunktes spielen die Pech-Leiter von Florian Neufeldt und die Arbeit Zwei Phönixe treffen sich im Wald von Thilo Frank und Julia Heuer auf ganz unterschiedliche Weise. Anstelle eines Hochsitzes, der Übersicht verspräche, finden wir bei Florian Neufeldt eine unbegehbare Leiter, deren herausgenommene Sprossen sich zu dem Schriftzug »Pech« fügen. Der erhabene Standpunkt bleibt uns auch in Thilo Franks und Julia Heuers begehbarer Installation versagt, in deren Dunkelheit zunächst Gefühle des Ausgeliefertseins und der Orientierungslosigkeit provoziert werden. Hat man sich jedoch erst an das fade Mondscheinlicht gewöhnt, weicht die Anspannung der Freude, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Claudia Kuglers digital erstellte Videoarbeiten scheinen unseren Blick ins grüne Dickicht ihrer fiktiven Räume hineinziehen zu wollen, um ihn im entscheidenden Moment, kurz vor der nächsten Biegung, an der Flächigkeit ihres digitalen Konstruktes abgleiten zu lassen. Zusammengesetzt aus einzelnen Versatzstücken einer Landschaftsfotografie, die auf unterschiedlichen Bildebenen gebracht und gegeneinander verschoben werden, suggerieren ihre Bilder wandernde Blicke in Unmöglichkeitsräumen. In Florian Neufeldts Stapel – einem aus einer Unmenge exakt gereihter schmaler Holzlatten gebildeten, übergroßen, dabei auf vier Holzböcken scheinbar kaum zu lastenden, sondern vielmehr im Raum schwebenden Kubus – begegnen wir einem sorgsam komponierten Spuk. Je nach Perspektive lässt sich feststellen, dass Kräfte an dem hölzernen Gestell gewirkt haben müssen, welche die Ordnung allein im Zentrum zerstören konnten, wovon noch einige am Boden liegende Belege zeugen. 

Ähnlich verwirrend erscheinen uns die vorgeblich der Vergangenheit entstammenden Objekte von Björn Braun. Mit Begriffen wie »entnehmen«, »modifizieren« und »rückführen« lassen sich die Stationen im Dreischritt seines prozesshaften Verfahrens beschreiben. So werden zum Beispiel in alten Büchern gefundene schwarz-weiße Landschaftsfotografien vom Künstler ohne stofflichen Verlust an Substanz – kaum mehr erkennbar – zu Collagen mit neuen Eigenschaften umgeformt. Der authentische Schein seiner Objekte weicht der Einsicht in den künstlerischen Prozess als beharrlicher Modifikation des Gegebenen.

Der dynamische zeichnerische Stil von Johannes Lotz ist in seiner Vielheit, Verworrenheit und Dichte durch eine Art immanente »Waldigkeit« gekennzeichnet. Mit einem Holzbohrer erarbeitet sich der Künstler auf einer dunkel lackierten Holztür eine altmeisterlich anmutende »Zeichnung« der Begegnung einer cranachhaften Schönheit mit einem Wildschwein. Die brachiale Art des Zeichnens mit einem rotierenden, die Oberfläche verletzenden Bohrer verbindet sich mit dem zarten Strich und seinen feinen Zersplitterungen an den Rändern.

Der Wind eines Ventilators streift Britta Kamptners aus einem Keilrahmen gezimmerte und mit rot-weißem Geschenkband bespannte Markise, an deren Rand die losen Enden des Geschenkbandes aufflattern und ein künstliches Blätterrauschen erzeugen. In ihrem Selbstgemacht-Sein und ihrer Verlorenheit an der Ausstellungswand verströmt sie eine feine Nostalgie, die an längst vergangene sonntägliche Ausflüge ins Grüne erinnert.

Mit Tod und Verletzung spielen die gezeichneten und aquarellierten Geschöpfe Sigga Bjorg Sigurdardottirs. Häufig entbehren sie des Kopfes, fast immer des Gesichtes, umso mehr scheinen sie fühlen zu können und sich körperlich gnadenlos einander auszuliefern. Ob sie die befremdlichen Unwesen des Waldes oder wir selber sein sollen, lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Denn diese Geschöpfe bringen die Welt, aus der sie kommen, nicht mit, sondern bevölkern eigenwillig wie Fantasmen ihre Umgebung.

Teil 3: Park – Wildnis der Stadt, Berlin

Hannu Karjalainens Video Girl in a red sweater zeigt uns einen nächtlichen Parkausschnitt, mit einem am Boden liegenden Frauenkörper, der, so scheint es, wie von Geisterhand über das Gras gezogen wird. Stets sind es äußere, für den Betrachter nicht erkennbare Kräfte, die auf die dargestellten Personen in Hannu Karjalainens Videos einwirken.

Die hochaufgelösten Scannografien einer toten Straßentaube von Edgar L. geben uns die Wirklichkeit genauer zu sehen, als es unser bloßes Auge je könnte. Und doch, oder gerade deshalb, entgleitet uns das Objekt, das in einen fast tänzerischen Bewegungsablauf versetzt und so scheinbar wieder zum Leben erweckt wird.

Anders Hellsten Nissen beschäftigt sich mit alltäglichen Objekten, die sich unserer Aufmerksamkeit meist entziehen. Oftmals sind es Stützkonstruktionen und Behelfsmittel, die in seinen Arbeiten in den Vordergrund gehoben, nachgebaut und damit in ihrer jeweiligen Form zum Hauptgegenstand werden. Mit seiner performativen Installation o.T. (minigolf), deren letztes Zielloch wieder in der Holzrampe des Berliner Projektraumes liegt, führt uns Anders Hellsten Nissen in den Stadtraum hinter Bauzäunen und Absperrungen, an verwilderte Orte, die gänzlich neue Perspektiven auf oft begangene Wege eröffnen.

Teil 4: Kleine Fluchten, Berlin

Maria Castelló Solbes durchstreift ihre nächste Umgebung, immer auf der Suche nach einem neuen Blick auf längst Bekanntes, tausendfach Gesehenes. So unternimmt sie Expeditionen in ihrer Wohnung, auf den Dachboden ihres Hauses, in den nächstgelegenen Park und registriert dabei Dinge, die schon lange stillstehen. Die drei roten, im grünen Teich versunkenen Kinderfahrräder sind so unbegreiflich, wie sie traurig und schön anmuten.

Die drei labil nebeneinander an der Wand lehnenden Schlitten-Konstruktionen von Florian Neufeld sind aus in Streifen geschnittenen Skateboard-Decks entstanden. Mit all ihren Gebrauchsspuren werden sie ihrer früheren Funktion beraubt, und in neuer Form unter dem Titel „Rosebud“ zum Symbol einer unwiederbringlichen Kindheit.

Mit dem Blick auf die Straße und deren Markierungen werden wir als Betrachter einer Videoarbeit von Benjamin Badock auf eine Umrundung Braunschweigs mitgenommen. Diese Flucht führt an ihren Ausgangspunkt zurück und zeichnet sich auf als ein sich ständig veränderndes abstraktes Bild.