Die Protagonisten der Videoarbeiten von Hannu Karjalainen sind einsame, entseelte Bewohner rätselhafter Tableaux vivants. War eine der traditionellen Grundbedingungen des Gelingens eines solchen »lebenden Bildes« jedoch gerade seine Lesbarkeit, mussten sich zu diesem Zwecke also Hinweise darin befinden auf den gemeinten Ort und auf die Zeit, auf die es anspielen sollte – derlei Hinweise werden uns von Hannu Karjalainen vorenthalten. Seine Bühnenbilder sind ort- und zeitlos, sind Bühnen ohne Bild. Bar jeglicher charakterisierender Attribute bleiben so auch die Figuren Karjalainens ihrer Anonymität verhaftet – Personen ohne Persönlichkeit.
Diese Unterschlagung von Wesensmerkmalen, welche wir benötigen, um aus einem Menschen erst einen bestimmten Menschen mit Identität werden zu lassen und aus einem bloßen Abbild ein Porträt, weist auf den Kern, den Hannu Karjalainens Arbeiten bergen: Es ist die Untersuchung der Möglichkeitsbedingungen des Porträts. Jeglicher Versuch unsererseits, den Personen anhand der fotografisch funktionierenden Videoarbeiten Eigenschaften zuzuschreiben, muss hier scheitern und in die Erkenntnis und das Anerkennen von Vagheit und Artifizialität münden sowie zur höherstufigen Erkenntnis führen, dass es das Zusammenspiel aus vom Künstler mitgegebenen Hinweisen und unseren Vermutungen ist, mithilfe dessen sich aus einem Abbild ein Porträt und aus einem Porträt die Konstruktion einer Identität herauskristallisiert.
In dekonstruierender Absicht zeigt Karjalainen, dass identitätskonstruierende Vorgänge gleichzeitig das Potenzial enthalten, in anderen Hinsichten identitätsdestruierend zu wirken. Ist es also überhaupt noch möglich, hier von Identität zu sprechen? Karjalainens Protagonisten sind schließlich auch dessen beraubt, was eine der Grundbedingungen des Person-Seins darstellt: der Möglichkeit des Handelns. Passiv, duldsam verharrend, sind sie physikalischen Einwirkungen unbekannter Herkunft ausgeliefert. Durften die Darsteller der Tableaux vivants sich sicher sein, nach dem Verstreichen eines gewissen Zeitraums die Kontrolle über sich und ihre Körper zurückzuerlangen, äußert sich Eigenmächtigkeit bei Karjalainens Porträtierten nur in subtilen, kaum wahrnehmbaren Bewegungen: hier ein leichtes Neigen des Kopfes, da ein Öffnen und Schließen des Augenlids. Für den, der diese winzigen hoffnungsvollen Gesten nicht wahrzunehmen vermag, bleiben es »tableaux« ohne »vivants«.
Antje Géra